AMIS und andere OP-Zugänge

In unserem Buch „Mut zur neuen Hüfte!“ beschreiben wir alle fünf Hüft-OP-Zugänge: seitlich (lateral), von vorn oder bauchseits (anterior oder ventral), von hinten oder rückenseits (posterior oder dorsal) und die Mischformen seitlich-von vorn (ventro- oder antero-lateral) und seitlich-von hinten (postero-lateral). Der Zugang von vorn hat sich einen griffigen Marketing-Namen gegeben, AMIS – steht für „Anterior Minimal Invasive Surgery“, also minimal-invasiver Zugang von vorn. Wir fragten sowohl Dr. Christian Fulghum, Chefarzt der endogap-Klinik in Garmisch-Partenkirchen, was er zu den einzelnen Zugängen meint, sowie Dr. Raimund Völker (München), dessen Ausführungen Sie weiter unter finden.
Hier die Antwort von Dr. Christian Fulghum:

Es gibt 5 natürliche Hüftlücken, die den Zugang zum Gelenk ermöglichen. Durch alle kann man operativ tätig werden, mal mit etwas mehr Muskelschonung, mal mit etwas weniger.

Die Benutzung aller 5 Zugangswege bedingt bei der Implantation eines künstlichen Hüftgelenks Muskelschäden, sei es durch Durchtrennung, durch Dehnung oder Quetschung des Gewebes. Welcher Schaden da vorzuziehen ist, bleibt völlig offen.

AMIS ist ein sehr guter Zugangsweg/Methode, wenn sie beherrscht wird.

Bestimmte Zugänge zeigen in den ersten 6 Wochen eine etwas schnellere Rehabilitation (u. a. AMIS), nach 3 Monaten sind absolut keine Unterschiede mehr nachweisbar (der Körper regeneriert sich).

Signifikante Unterschiede haben sich in kontrollierten Studien nicht nachweisen lassen.

AMIS ist bei Komplikationen nicht erweiterbar – im Gegensatz zu den seitlichen und hinteren Zugängen, und niemand ist gegen Komplikationen gefeit.

Unter anderem deshalb hat sich AMIS auch bisher nicht wirklich durchgesetzt. Was sollte uns daran hindern, einen überlegenen Zugang zu verwenden (wenn er denn überlegen wäre ….).

Es gibt eben bei keinem Zugang nur Vorteile, es kommt immer auf die Erfahrung des Operateurs an und den individuellen Patienten.

Nachfolgend die Ausführungen von Dr. Raimund Völker zu Amis im Wortlaut:

Es handelt sich hierbei um einen alten Zugang (beschrieben erstmals 1870 von Carl Hueter), der jetzt als neu und besonders schonend vermarktet wird. Er fand eigentlich weltweit nur in Frankreich und auch dort nur mäßigen Anklang. Insgesamt hat er zahlreiche Nachteile im Vergleich mit anderen Zugängen und konnte sich daher nicht durchsetzen. Es ist wohl jedem klar, dass dieser Zugang überall Anwendung finden würde, wenn er so gut wäre, wie es die Werbung verspricht. Thema Werbung: Gutes setzt sich im Wesentlichen durch die Verbreitung durch und nicht durch ein Marketing.

In Deutschland und auf der ganzen Welt gab es zuletzt völlig richtig den Trend, die Zugänge zum Hüftgelenk zu vereinfachen und zu verkleinern. Dies gelang insbesondere durch Fortschritte bei den Implantaten und Instrumenten. Aber auch um die technischen Fortschritte herum gab es große Fortschritte bei der Narkose (z.B. Vermeidung der Gasnarkose), der Schmerzmittel (z.B. weniger intravenöse Morphin-Medikamente) und der Physiotherapie (z.B. frühfunktionelle Behandlung). Eine Rolle spielte auch die Verbreitung der Hüftarthroskopie. Man suchte nach einem dafür passenden Oberbegriff und kopierte dann eigentlich etwas zu voreilig den Begriff „minimal-invasive Chirurgie“ (abgekürzt MIS, S steht für Surgery). Daraus setzt sich AMIS zusammen. Das A steht für „anterior“, das bedeutet vorne. Leider passt MIS nicht oder zumindest noch nicht zur Gelenkersatzchirurgie. Minimal-invasiv ist streng genommen nämlich nur die Hüftarthroskopie, die ja aktuell sehr rückläufig ist, da sie nicht die erhofften Erfolge erbringen konnte, ganz im Gegensatz zum Hüftgelenksersatz. Der Begriff „minimal-invasiv“ kommt aus der Bauchchirurgie und beschreibt die sogenannte „Schlüssellochchirurgie“, wie wir sie bei der Gallenchirurgie, Blinddarm- und Dickdarmchirugie und auch Hernienchirugie anwenden. Diese Art der Operation war ein großer Umbruch von der offenen zur geschlossenen Chirurgie. Beispiel Gallenblase: statt eines 15-20cm großen Bauchschnittes am rechten Rippenbogen waren nun nur noch 3 kleine 1cm lange Schnitte notwendig. Dies gelang durch die Verwendung von sogenannten Laparoskopen (starre Rohre, mit denen man eine Kamera und Instrumente in den Bauch einführen konnte). Beim Gelenkersatz gelang es lediglich, wie bereits erwähnt, durch bessere Instrumente und Implantate die Schnittlänge zu verkürzen. Eine geschlossene Operation mit 1cm großen Schnitten ist unmöglich, wenn man die uns heute bekannten Implantate einsetzen möchte. Eine bessere Beschreibung der Weiterentwicklungen wäre also: weniger-invasiv = less-invasive. Aus meiner Sicht sollte hier nur der allgemeine Fortschritt bei der „Jahrhundert-Operation“, wie der Hüftgelenksersatz auch genannt wird, deutlich gemacht werden. So gesehen ist das „MIS“ der Bezeichnung „AMIS“ schon nicht ganz passend.

Viele sagen, AMIS wäre auch unter den üblichen reduzierten Maßstäben gar nicht minimal-invasiv. Wie kann das sein, wenn man bedenkt, dass die Werbung hier von einem besonders schonenden OP-Verfahren spricht? Die Zweifel kommen auf, wenn man die dafür notwendige Lagerung des Patienten einbezieht. Der AMIS-Zugang benötigt eine Streckapparatur, mithilfe derer der Patient gelagert werden muss. Der Patient bekommt hierzu einen (jetzt besser als noch anfangs) gepolsterten Rundstab wie einen Pflock zwischen die Beine. Zusätzlich wird das zu operierende Bein im Fußbereich in eine Schuhmanschette eingespannt. So eingespannt wird dann bei der Operation an dem Bein gezogen und auch die Position des Beines insgesamt nach Bedarf verändert. Das kann zu Haut- und Nervenproblemen in den anliegenden Zonen im Schambereich und am Fuß führen. Zusätzlich verlängert sich hierdurch die Länge der Narkose und setzt stärkere Medikamente zur Muskelentspannung voraus. Einige Chirurgen behaupten daher, dass sie in der Zeit, die für die AMIS-Lagerung notwendig ist, üblicherweise schon die halbe Operation durchgeführt haben. Hinzu kommt, dass die Muskulatur gar nicht die Schonung erfährt, die bei AMIS angeblich erfolgen soll. Der wortwörtlich gezerrte Muskel (wir kennen alle den Begriff einer Muskelzerrung) ist eine nicht seltene Verletzung, die in unterschiedlicher Intensität auftreten kann. Es hängt auch sehr viel mit der Beschaffenheit der Muskulatur vor der Operation zusammen. Gibt es bereits Muskelverkürzungen oder ist der Patient schon älter und weniger sportlich, ist bei dieser Form übermäßiger Dehnung die Muskulatur gefährdet unkontrolliert zu reißen. Dies trifft ebenfalls auch auf die darin befindlichen Nerven zu. Die Einschränkung der Muskelelastizität ist bei der Arthrose, dem Hauptgrund der Operation, naturgemäß äußerst häufig. Ein muskelgesunder Mensch, der diesen Streckapparat sicher besser tolerieren würde, hat jedoch in der Regel auch ein gesundes Gelenk und muss nicht operiert werden. Die Attribute schonend oder muskelschonend sind bei dem AMIS-Zugang also nicht ganz zutreffend.

Der Streckapparat ist andererseits aber ggf. personalschonend, weil mitunter auf einen OP-Assistenten verzichtet werden kann. Das wiederum kann die Ausbildungsqualität einer orthopädischen Abteilung vermindern.

Große Nachteile bestehen auch bei der für die richtige Implantate-Positionierung notwendigen Sicht bei AMIS. Nur kleine Anteile der Hüftpfanne können eingesehen werden, die Positionierung ist somit schwieriger. Das wichtigste und schwierigste beim Gelenkersatz ist jedoch die Pfanne und ihre Position. Zusätzlich kann durch den Zug eine Lageveränderung des Beckens erfolgen, die die richtige Positionierung nochmals erschweren kann.

Weiterer Nachteil ist die Nähe zu den großen Leistengefäßen und dem großen Beinnerv. Noch ein Nachteil ist die Nähe zum Schambereich (erhöhte Infektgefahr) und eine schlechtere Narbenbildung in diesem Bereich. Alles unnötige Gefahrensituationen, die man einfach umgehen kann.

Und ganz wichtig: Der Hautschnitt kann bei Problemen nicht erweitert werden. AMIS wird daher bei Revisionen nicht angewandt. Daraus ergibt sich die Frage, warum man nicht von vorne herein einen Zugang wählt, der eine gute Sicht hat und den man im Zweifel auch erweitern kann, um schwierige Situationen beherrschen zu können.

Diese Argumente sind ausreichend und verständlich, warum AMIS nicht als allgemein gültiger Zugang der Wahl angesehen wird. Jedoch ist davon auszugehen, dass dieser Zugang in geübter Hand mit der richtigen Auswahl der Patienten auch gute Erfolge erzielen kann. Viele Wege führen bekanntlich nach Rom!

Die Art und Weise des intensiven Marketings wird verständlich, wenn man weiß, dass dahinter ein Implantatehersteller steht, der (eigene) Implantate verkaufen möchte. Bewährte Implantate anderer Hersteller mit großer Stückzahl hingegen können dem Patienten meist mehr Sicherheit bieten. Das Verkaufsziel ist wirtschaftlich verständlich, aber medizinisch ist die Darstellung nicht ausreichend begründet. Das Marketing ist aus meiner Sicht zumindest eher irreführend.

Ausblick
Nachdem eine Zeit lang der Reihe nach über die Trends wie zementfreie Implantate, Pressfitpfannen, Oberflächenersatz, Kurzschäfte, Materialien wie Keramik, Metall oder Polyäthylen, minimal-invasive Zugänge gesprochen und diskutiert wurde, ist heute das große Thema „Enhanced recovery“ aktuell (Stand 5/2018). Wie gelingt es, Patienten noch schneller genesen zu lassen? Ein sehr spannendes Thema! Da gibt es viele kleine Verbesserungen, die dies tatsächlich ermöglichen. Die Patienten werden in die Lage versetzt, bereits im Aufwachraum unmittelbar nach der Operation erste Schritte zu gehen. Und das zweite große Thema: Der Gelenkersatz soll nicht 10-15 oder 15-20 Jahre halten, sondern lebenslang!

Wer immer noch der Meinung ist, dass AMIS generell das Nonplusultra sei, der sollte spätestens bei dem nachfolgenden Werbevideo misstrauisch werden. Darin springt der Patient nach erfolgter OP vom OP-Tisch und tänzelt locker aus dem OP-Saal heraus.
AMIS / Medacta Werbevideo

(Mai 2018)

8 Antworten

  1. Dirk sagt:

    Warum kann die Arthroskopie nicht die erhofften Erfoge erbringen? Bei Hüftimpingement -rechtzeitig erkannt (das ist ein Problem)- kann sie die neue Hüfte um Jahre hinauszuzögern. Ich spreche aus eigener Erfahrung.

    • pherrchen sagt:

      Die Hüftarthroskopie hat bei entsprechender Indikation natürlich ihre Berechtigung und kann, von einem erfahrenen Operateur angewandt, einem weiterem Verschleiß vorbeugen, bzw. diesen ggf. um Jahre hinauszögern. Bei fortgeschrittener Arthrose (Grad 3 – 4) ist die Hüfte-ASK allerdings zumindest bisher keine Option!

  2. Alex Federlein sagt:

    Ich bin noch jung (38) und benötige eine TEP. Ich würde Amis wählen, weil sowohl das Zerschneiden von Muskeln als auch die Resektion der Kapsel für mich nach einem NOGo in meinem Alter klingen. Einem 70 Jährigen mag das egal sein. Aber es liegt doch auf der Hand, dass die Stabilität danach schlechter ist als bei Amis. Oder nicht? Ich bin Wettkampfsportler und Vater von 2 kleinen Kindern. Ich brauche im erster Linie Hüftstabilität. Tut mir leid, aber alleine das höhere Luxationsrisiko bei der dorsalen Methode ist es meiner Meinung nach nicht wert. Oder seh ich das falsch?

    • Peter Herrchen sagt:

      Eigentlich ist in dem Artikeln alles gesagt. Wichtig ist einzig und alleine die Erfahrung des Operateurs und der Klinik und nicht der Zugang. Ich habe z.B. mit dorsalem Zugang und beidseitigen Hüft-TEPs mehrere Halbmarathons gefinished, sowie kleinere Triathlon-Wettkämpfe bestritten. Mehr dazu auch auf meinem Blog https://endoprothese-und-sport.de.
      Die Gelenkkapsel muss natürlich bei jedem Zugang geöffnet werden, da man sonst kein Gelenk einsetzen kann. Wenn hier der Arzt etwas anderes gesagt haben sollte, schnellstmöglich wechseln.

  3. Walter sagt:

    Ich persönlich finde den Artikel zu Amis auf Wikipedia objektiver und aktueller als die Einschätzung von Dr.Völker : https://de.wikipedia.org/wiki/AMIS-Technik?wprov=sfti1

    • Peter Herrchen sagt:

      Das ist Ihr gutes Recht.
      Ich würde allerdings gerade im medizinischen Reich einzig und allein medizinischen Publikationen vertrauen und nicht Wikipedia, dass ja praktisch von jedem bearbeitet werden kann.
      Falsch ist z.B. im Wikipedia-Eintrag, dass das der einzige Zugang sei, bei dem nichts durchtrennt wird. Das ist bei dem ‚Wiesbadener Zugang‘ und der ‚Superpath-Technik‘ ebenfalls der Fall. Der Beitrag soll nur den aktuellen Hype um AMIS, der ganz massiv und aggressiv von einem Hersteller beworben wird und dessen Implantate und OP-Tisch voraussetzen, etwas objektivieren. Siehe gerne auch hier: https://dp-verlag.de/hueftprothese-die-wichtigsten-op-methoden-auf-einen-blick/

  4. Walter sagt:

    Das ist grundsätzlich richtig (am Ende des Artikels finden sich aber auch die Referenzen auf die wissenschaftlichen Publikationen; wäre interessant zu sehen auf welche sich Dr Völker bezieht?) und ich kann auch die Intention verstehen, einen „Ausgleich“ zu etwas zu einseitigen Aussagen anzubieten. Mit diesem Beitrag wurde aus meiner Sicht aber etwas zu sehr auf die andere Seite ausgeschlagen. Aber es kann sich ja jeder/jede sehr einfach auch selbst informieren und ein Bild machen.

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