Infektionen – Gründe und Strategien zur Vermeidung

Die Geißel der Gelenkersatzchirurgie!

Aktuell beobachten wir eine gewisse Verunsicherung oder gar Angst von Patienten, die vor einer Gelenk-OP stehen, sich mit Keimen zu infizieren. Auch wenn die Infektionsraten in renommierten Endoprothetik-Zentren weit unter einem  Prozent liegen, bedeutet jeder einzelne Fall eine schwerwiegende Komplikation für den Patienten, die meist weitere Operationen notwendig macht.

Wir haben deshalb mit Dr. med. Holger Haas nachfolgendes Interview zu diesem Thema geführt.
Dr. med. Holger Haas ist Chefarzt Allgemeine Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin des Gemeinschafts-Krankenhauses Bonn, St. Petrus, ein zertifiziertes EndoProthetikZentrum der Maximalversorgung (EPZMax). Das Haus führt pro Jahr über 1.700 Gelenkersatz-Operationen durch.

Herr Dr. med. Holger Haas, aktuell ist das Thema multiresistente Keime in Krankenhäusern und eine zumindest gefühlt vermehrte Anzahl von Infektionen nach Gelenk-Ersatz-OPs sehr präsent. Wir wissen, dass Ihre Klinik spezielle Verfahren etabliert hat, um das Risiko zu senken, bzw. sehr niedrig zu halten. Können Sie uns erläutern, wie Ihre Vorsorge-Maßnahmen aussehen?

Infektionen nach Operationen sind die Geißel der Gelenkersatzchirurgie! Alle Beteiligten haben höchstes Interesse, diese schwerwiegende Komplikation zu vermeiden. Leider sind die Ursachen und Zusammenhänge nicht so einfach zu erklären, wie in manchen Darstellungen widergegeben. So handelt es sich nicht zwangsläufig um einen Behandlungsfehler, wenn es zu einer Infektion kommt.
Allein die Tatsache, dass es sich bei der Prothese um einen großen Fremdkörper handelt, beeinträchtigt die lokalen Abwehrkräfte deutlich. Damit steigt die Infektionsgefahr. Hinzu kommen Gefahren, die vom Patienten ausgehen: die Besiedlung der Haut des Patienten mit resistenten Keimen, ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus, Nikotinkonsum oder ein Mangelernährungszustand, der übrigens auch bei Übergewichtigen vorkommen kann, erhöhen die Infektionsgefahr deutlich.

Risiken: Diabetes, Nikotin, Übergewicht, Haut, Zähne

Genau hier greifen die Maßnahmen an, die als Bündel verstanden werden müssen: eine optimierte Diabetes-Einstellung, das Abheilen von Hautverletzungen, die Sanierung der Zähne vor dem Eingriff gehören genauso dazu wie die sogenannte Dekontamination der Haut über ein paar Tage vor dem Eingriff mit speziellen Desinfektionsschäumen und Salben.
Das kann aber auch bedeuten, dass eine lang geplante Operation z. B. wegen eines entzündeten Mückenstichs am betroffenen Bein oder erhöhter Entzündungswerte im Blut („CRP“) verschoben werden muss. Beides kann nämlich bedeuten, dass Bakterien im Blut oder den Lymphbahnen kreisen, aus denen sie sich dann bei der Operation an der Prothese anheften und zur Infektion führen können.
Wenn sich die Bakterien erst einmal an der Oberfläche festgesetzt haben, indem sie einen sogenannten Biofilm (einen Film aus Zuckermolekülen) gebildet haben, ist eine Behandlung der Infektion ohne den Ausbau der Prothese kaum mehr erfolgversprechend.

Hygienemaßnahmen und Stoffwechseleinstellung

An erster Stelle ist zur Vermeidung und Behandlung von Infektionen ein Team aus verschiedenen Spezialisten erforderlich: der Arzt für Hygiene unterstützt uns bei der Überwachung der Hygienemaßnahmen, Internisten und insbesondere Diabetes-Spezialisten sorgen für eine optimale Stoffwechseleinstellung. Und jeder Einzelne im Behandlungsteam ist gefordert, seinen Beitrag zu leisten. Als kleine und dennoch eine der wichtigsten Maßnahmen gilt dabei die regelmäßige Händedesinfektion. Das trifft im Übrigen auch für Patienten und Besucher zu. Nutzen Sie also die überall im Krankenhaus vorhandenen Desinfektionsmittelspender!

Werden generell alle Patienten im Vorfeld auf gefährliche Keime getestet und wenn ja wie (Blutuntersuchung, Hauttest etc.)?

Ob eine generelle Testung erforderlich ist, sollte jedes Krankenhaus mit seinem beratenden Hygieniker besprechen. Das hängt nämlich sehr von der Belastung der Bevölkerung mit Problemkeimen ab. Denken Sie an Holland: Dort waren multiresistente Erreger ein großes Problem und zahlreiche Menschen schon vor dem Aufenthalt im Krankenhaus damit besiedelt. In einem solchen Umfeld ist die generelle Testung jedes Patienten sinnvoll.

Abstrich-Test für Risikogruppen

Wir führen hingegen ein sogenanntes risikoadjustiertes Screening der Patienten durch: Alle, die aus Risikogruppen kommen (wie z. B. Altersheimbewohner, Menschen vom Bauernhof etc.), werden getestet. Und natürlich alle, die sich dem Test unterziehen möchten. Dabei besteht lediglich das Risiko eines sogenannt falsch positiven Testergebnisses: Der Test schlägt Alarm, obwohl keine gefährlichen Bakterien vorhanden sind. Dies führt dann zu einer Behandlung des betroffenen Patienten, die eigentlich nicht nötig wäre und die Operation verzögert.

Der Test besteht in einem sogenannten Abstrich, bei dem verschiedene Hautpartien mit einem Wattetupfer berührt („abgestrichen“) und diese dann analysiert werden.
Übrigens könnten wir ohne Bakterien nicht leben: Sie helfen u. a. bei der Verdauung im Darm und halten die Haut funktionsfähig. Nur dürfen sie sich nicht an der Prothese ausbreiten!

Ernährungsoptimierung zur Senkung der Komplikationsrate

Was können Patienten im Vorfeld der OP selbst unternehmen, um das Infektionsrisiko zu senken?

Bereiten Sie sich auf die Operation vor: Diabetiker sollten die Blutwerte (HbA1c) sorgfältig prüfen und ggf. die Medikation anpassen lassen, Hauterkrankungen bestmöglich behandelt sein, das Rauchen sollte pausiert werden und eine Vorstellung beim Zahnarzt, um Zahntaschenentzündungen o. ä. behandeln zu lassen, ist ebenso zu empfehlen. Auch eine Gewichtsreduktion kann sinnvoll sein. In neuester Zeit gibt es ebenfalls Hinweise, dass durch eine Ernährungsoptimierung vor der OP die Komplikationsrate gesenkt werden kann! Lassen Sie sich im Zweifel von der behandelnden Klinik beraten!

Wie findet der Patient die Klinik, die diesem Problem besondere Aufmerksamkeit schenkt? (Die endocert-Zertifizierung berücksichtigt dieses Problem meines Wissens nicht gesondert).

Eine Zertifizierung nach EndoCert bedeutet zumindest, dass sich die Klinik intensiv mit der Endoprothetik beschäftigt und zahlreiche spezialisierte Anforderungen im Hinblick auf die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität in diesem Bereich nachprüfbar erfüllt. So sind dort die Maßnahmen am ehesten bekannt, die zu einer Reduktion der Infektionsgefahr beitragen.
EndoCert wird übrigens regelmäßig weiterentwickelt. So fließen aktuelle Kenntnisse aus dem Bereich der Infektionsvermeidung in die Vorschriften zur Zertifizierung der Kliniken ein.
Wichtig ist aber auch, dass im Fall einer Infektion konsequent behandelt wird. Auch hier bieten EndoCert-zertifizierte Einrichtungen das entsprechende Know How und die notwendige Erfahrung.

Herr Dr. Haas, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch.

(Oktober 2019)